Get a life! SM als Allheilmittel?

Der Mensch strebt nach Dingen, die seinem Leben einen Sinn geben: die Liebe, die Gemeinschaft anderer Menschen, ein Hobby. Manch einer mag vermuten, dass er im Bereich SM all das findet.

Achtung, Ironie!Es ist aber auch zu einfach: Beginnt man sich für SM zu interessieren, stellt man schnell fest, dass es innerhalb der SM-Szene Cliquen gibt, die eng miteinander befreundet sind. Anders als in anderen Chats findet man in SM-Chats häufig Gruppen vor, die sich trotz größerer Entfernungen voneinander regelmäßig treffen, sei es auf Feten, sei es nur zum Kaffeetrinken. Man teilt Träume, Phantasien, Betten und Spielpartner. Wie verführerisch ist es, Mitglied einer solchen Gruppe zu sein und solche Freunde zu haben?

Obendrein erspart man sich innerhalb der SM-Gemeinde des übliche Balz-Ritual. Jeder, der nicht fest gebunden ist, sucht diese Gemeinschaft nur auf, um einen Partner zu finden, auch wenn er das Gegenteil behauptet. Über sexuelle Vorlieben und Neigungen wird offen wie nirgends sonst gesprochen. Also muss man sich nur ein wenig öffnen, auf andere zugehen und sich miteinander unterhalten, und schon findet man in Nullkommanichts einen SMler zum Verlieben.

Der eine sammelt Bierdeckel aus aller Welt, der nächste reist zu jedem Konzert von Justin Bieber, wieder einer tapeziert seine Zimmerwände mit Postern von John Cena: ohne ein Hobby ist das Leben nur die Hälfte wert. Wie gut, dass SM sich auch hierfür eignet. Immerhin kann es kostspielig werden, wenn man es richtig betreibt. Wenn man auf sich hält, sollte man eine beeindruckende Anzahl von Schlagwerkzeugen und anderem Spielzeug sein eigen nennen, der Kleiderschrank platzt nach kurzer Zeit aus den Nähten bei all den Lack-Leder-Latex-Fetisch-Fantasy-Outfits, die es zu kaufen gibt, und reisen muss man ja auch noch - garantiert findet an jedem Wochenende irgendwo eine SM-Fete statt, auf der man unbedingt gewesen sein muss, oder man fährt mal eben 1000 km ans andere Ende der Republik zum Kaffeetrinken. Man gönnt sich ja sonst nichts.


Natürlich sollte man schon irgendeine Neigung mitbringen, wenn man an dieser Gemeinschaft teilhaben will. Weil man es mit der Schmerzgeilheit so gar nicht hat und daher nicht masochistisch ist, entschließt man sich, devot zu sein. Befehlen zu gehorchen und den Mund zu halten, das kriegt man schon hin, und es ist eine verlockende Vorstellung, alle Verantwortung abgeben zu können und sich einem anderen Menschen unterzuordnen. Man kann ja zu nichts gezwungen werden, das steht in den Regeln des SSC, und überhaupt ist man erwachsen und hat alles im Griff. So bezeichnet man sich als devoten Anfänger-Sklaven, damit das Kind einen Namen hat, und schwups ist man Mitglied der großen glücklichen Familie der SMler.


Es mag ein Jahr dauern oder zwei, und man ist längst kein Anfänger-Sklave mehr, bis man herausfindet, dass SMler sich in nichts von den Leuten unterscheiden, mit denen man bisher zu tun hatte. Sie lügen, sie reden hinterm Rücken, sie halten sich nicht an Versprechen, sie sind neidisch und missgünstig wie jeder andere Mensch auch. Aus der großen Liebe, die man zu finden hoffte, ist nichts geworden, und die eigene Neigung lässt ebenfalls zu wünschen übrig. Nach einigen größtenteils negativen - oder als negativ empfundenen - Erfahrungen stellt man fest, dass man sich selbst überfordert, dass man zuviel erwartet hat, dass man sich zuviel zugetraut hat, dass man gar nichts im Griff hat. Und dann verlässt man die große, nicht ganz so glückliche Familie wieder.


SM ist kein Allheilmittel gegen Langeweile, Einsamkeit oder die Leere in deinem Leben. Man kann sich nicht "mal eben" entschließen, SMler zu werden, weil sich das alles so toll anhört und weil man sonst nicht weiß, wohin mit sich. Die Chance, in der SM-Szene Liebe und Freunde zu finden, ist genau so groß wie in jeder anderen Gemeinschaft. Aber die Gefahr, verletzt zu werden, ist sehr viel größer. SM betreibt man nicht nebenher; es erfordert den ganzen Menschen, mit Leib und Seele, Körper und Geist. Bist du sicher, dass deine Neigung stark genug ausgeprägt ist, um all das aushalten zu können und zu wollen? Wenn nicht, such dir lieber ein anderes Hobby - sonst bist du um eine Lebenserfahrung reicher, die du nicht brauchst.

* Aus dem Amerikanischen. Frei übersetzt: "Fang an zu leben!"