Tabu - die unbezwingbare Grenze

Tabu
(polynes.), in zahlreichen religiösen Kulten eine geheimnisvolle, heiligende, oft auch vernichtende Kraft;
gesellschaftliche Norm, die als unantastbar gilt.

Zwei Begriffe gibt es, die den Dom in seiner Freiheit einschränken, mit seinem Sub zu tun und zu lassen, was ihm beliebt: das Tabu und die Grenze. Doch wie bei einigen anderen Definitionen aus dem Bereich BDSM gibt es auch hier Meinungsverschiedenheiten, wie diese Begriffe auszulegen sind. Während im normalen Leben jeder Mensch Definitionen bestimmter Worte anerkennt, scheinen im BDSM manche Worte Auslegungssache des einzelnen zu sein. Noch dazu scheinen beide Begriffe im Grunde recht ähnlich zu sein, erst bei näherer Betrachtung kommt man darauf, dass dem ganz und gar nicht so ist. Was bedeutet also Grenze, was bedeutet Tabu?

Die Grenze

Es liegt in der Natur der Grenze, dass sie verschiebbar ist. Das trifft auf Landesgrenzen ebenso zu wie auf Schmerzgrenzen. Fängt ein Sub mit dem Spielen an, wird seine Schmerzgrenze eher niedrig liegen, einfach weil es sich um eine neue Art von Schmerz handelt: An Rohrstockschläge muss man sich erst gewöhnen, ebenso wie daran, eine bestimmte unbequeme Körperhaltung beizubehalten, nur um der Demütigung willen. Der Körper begehrt auf, er wehrt sich - Sinn des Spiels ist es, eben dieses Aufbegehren mit Hilfe des Geistes und des Willens zu überwinden.

Einerseits verschiebt sich diese Grenze mit der Zeit von selbst nach oben, andererseits ist es die Aufgabe und das Recht des Doms, sie zu verschieben. Einfach ausgedrückt - nach einer gewissen Zeit bedeutet eine bestimmte "Menge" Schmerz keine Qual mehr, und weil Dom seinem Sub leiden sehen möchte, ist ihm daran gelegen, die Menge zu erhöhen. Das liegt auch im Sinne des Subs: sanfte Schläge, die "nur" Lust entfachen, sind gut und schön, aber auf die Dauer nicht wirklich befriedigend. Man möchte intensiven Schmerz spüren, aus dem sich tiefere, stärkere, durchdringende Lust entwickelt, und wie intensiv dieser Schmerz sein darf, bestimmt die momentane Grenze. Diese kann heute höher liegen als morgen und umgekehrt - viele Faktoren beeinflussen mit, wie viel Sub aushält. Ist diese Grenze erreicht, benutzt Sub das Safewort, und Dom beendet das Spiel. Kennt Dom seinen Sub gut, wird er selbst spüren, wann es genug ist.
Natürlich hat auch Dom Grenzen - es steht ihm ebenso zu, Sub anfangs nicht so hart schlagen zu wollen, wie dieser es gern hätte. Mit der Zeit wird er diese Grenzen womöglich überwinden wollen, sei es aus eigenem Antrieb, sei es um Sub an seine Grenzen zu bringen.

Das Tabu

Tabu bedeutet, wie oben erklärt, unantastbar. Das heißt, Sub - oder auch Dom - erklären eine bestimmte Spielart für undurchführbar. Dabei spielt es keine Rolle, um welche Art von Praktik oder Vorgehensweise es sich handelt. Auch muss weder Sub noch Dom erklären oder sich rechtfertigen, warum er dies oder jenes nicht möchte. Der andere hat als Tatsache anzuerkennen, dass diese Spielart nicht ausgeführt werden darf, und basta.

Wenn Sub oder Dom zu spielen beginnt, mag er eine Reihe von Tabus mitbringen. Er will eine bestimmte Praktik nicht, weil er den Schmerz fürchtet, weil er sie für sinnlos hält, was auch immer. Hat Sub oder Dom nun einiges ausprobiert, mag er über seine Tabus neu nachdenken. Vielleicht hat er inzwischen genug erfahren, um zu glauben, dass diese Praktik nicht so schlimm ist, wie er befürchtet hat, vielleicht siegt die Neugier auf das Unbekannte. Sub hat schließlich so tiefes Vertrauen in seinen Dom, dass er ihm erlaubt, diese Praktik auszuprobieren, vorsichtig, langsam, immer bereit, sofort aufzuhören.

Der Unterschied

Was unterscheidet nun die Grenze vom Tabu? Die Grenze wird vom Spielpartner verändert - das Tabu nur von einem selbst. Das Verschieben von Grenzen geschieht von allein, weil dies in der Natur des Spieles liegt und einfach dazugehört - das Aufheben eines Tabus darf keinesfalls während des Spiels ohne vorherige Absprache geschehen.


Nun gibt es Doms, die den Grundsatz haben "Ob ich Tabus beachte, ist meine Sache". Zum Repertoire dieser Doms gehört auch "Ich habe noch nie mit Safewort gespielt" oder "SSC gilt für mich nicht". Diese Doms mögen sich besonders überlegen vorkommen - eher sind sie egoistisch und dumm. Sie haben nicht begriffen, wozu die SMler für sich bestimmte Gesetze erschaffen haben. Ohne diese Gesetze können sich weder Sub noch Dom auf den anderen verlassen. In einem Spiel wird nicht nur Körper und Seele eingesetzt, sondern auch Leib und Leben, und Tabus helfen mit, ebendiese zu schützen. Verstößt Dom gegen diese Gesetze, verletzt er ein Tabu, so bricht er das Vertrauen, das Sub wie selbstverständlich in ihn setzt - glaubt er doch, Dom hält sich ebenso an die Gesetze wie er selbst. Tabus werden nicht aus Spaß aufgestellt - jeder hat seinen guten Grund, warum er dies oder jenes ablehnt. Es ist nicht das Recht des Doms, sich darüber hinwegzusetzen, nur weil er glaubt, als Dom alle Macht über seinen Sub zu haben. Die Begründung "Sub kann sich doch melden, wenn es ihm zuviel wird", ist geradezu lächerlich. Soll Sub in jeder Sekunde darauf achten, dass Dom ihm nicht etwas antut, das er nicht will? Sollte Sub sich nicht besser vertrauensvoll fallen lassen und das Spiel ohne Angst davor genießen, dass Dom eines seiner Tabus für nicht beachtenswert erklärt? Doms, die diese Sprüche vor sich her tragen, sollten sich nicht wundern, wenn ihnen in ihrem Kreis die Spielpartner ausgehen. Jedes Spiel ist ein Risiko, und Sub genießt den Kitzel der Schutzlosigkeit und der Unsicherheit - aber Sub ist auch nicht blöd und rennt sehenden Auges ins offene Messer, in die Gefahr des Verletztwerdens an Körper und Seele. Ein Tabubruch am wehrlosen, hilflosen Sub ist wie eine Vergewaltigung. Nicht mehr und nicht weniger.